Ganz viel Wut…..
Immer wieder berichten Familien, dass ihre Kinder sehr viel Wut zeigen. Welche Hintergründe kann es dafür geben? Z.B.:
Warum ich? Es kann sein, dass sich Kinder mit zunehmender kognitiver Entwicklung die Frage stellen, warum sie von dem Schicksal Adoption betroffen sind. Das bedeutet konkret, von den leiblichen Eltern weggeben worden zu sein. Kinder erleben dies als persönlichen Makel:
– Ich bin nicht liebenswert!
– An mir muss etwas falsch sein, wenn ich wegegeben werde!
– Bin ich zu hässlich?
Das Ausgeliefertsein macht ein Gefühl der Ohnmacht, der Abwehr und erzeugt Wut und/oder Trauer.
Diese Gefühle brauchen Wahrnehmen und Gesehen werden. Es nützt dem Kind nicht, wenn die Eltern trösten und sagen, dass die Kinder es doch gut haben. Selbst wenn dies stimmt, ist an erster Stelle die Anerkennung der Gefühle Trauer und Wut sehr wichtig, damit sie nicht in die Verdrängung geraten, die Wut sich nicht gegen sie selbst richtet, z. B. durch Selbstverletzung, der Gefahr von Unfällen, und in das Vermeiden von Beziehungen.
Wut macht Distanz und mit Trauernden will auf die Dauer niemand etwas zu tun haben, womit sich ein Teufelskreis erfüllt. Viele erwachsene Adoptierte berichten von Schwierigkeiten, Beziehungen dauerhaft zu halten.
Manchmal werden Beziehungen sehr schnell geknüpft und idealisiert. Macht der Andere einen Fehler oder leitet einen Wunsch nach mehr Nähe ab, erfolgt der Rückzug. Das passiert auch Menschen mit einer sog. Frühen Störung. Sie konnten kein Vertrauen in Beziehungen entwickeln, weil es zu einer frühen Trennung kam.
Christa Steinhauer
Wie et Jabi
Mutter und Tochter treffen sich nach ca. 30 Jahren zum ersten Mal wieder. Das Treffen findet vorbereitet mit beiden Frauen an einem neutralen Ort statt, weil die junge Frau den Wunsch hat, ihre Mutter kennen zu lernen. Das Jugendamt hat sie direkt nach der Geburt in eine Pflegefamilie vermittelt und dort war sie aufgewachsen, aber nicht adoptiert worden. Anlass für eine solche Begegnung sind oft Umbrüche im Leben wie Geburt, Trennung, Scheidung , berufliches Scheitern, Erkrankungen, die die Frage nach dem Wer-bin-ich? in das eigene Bewusstsein bringen.
Die Mutter trifft vor der Tochter ein, sitzt am Tisch, ist aufgeregt: Kommt sie? Was sagte sie? Macht sie Vorwürfe? Die Tür öffnet sich nach einer Weile und die Tochter betritt den Raum. „Wie et Jabi!“ wird die junge Frau begrüßt. Die Mutter erklärt, dass die Tochter die gleiche Frisur hat, wie ihre Tochter, die bei ihr aufgewachsen ist- auf die gleiche Art und Weise hochgesteckt, mit der gleichen Spange festgehalten. Die Tochter ergänzt, dass ihr die Haare bis zum Gesäß reichen. Diese Haarlänge wird von der Mutter auch für Jabi bestätigt. Damit waren ein paar Familienbande geknüpft, wie haltbar, entzieht sich meiner weiteren Kenntnis.
Oft liegen Welten zwischen Eltern und Kindern nach einer so langen Zeit. Wenn die Unterschiede nicht zu groß sind, kann es zur Entwicklung von Beziehungen kommen, die sich zusätzlich stabilisierend für das ehemalige Kind auswirken können. Aber auch wenn es nur zu einer Begegnung kommt, werden Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten erkannt, die wie eine Bestätigung der eigenen Existenz wirken. Manchmal muss auch eine wiederholte Ausgrenzung verkraftet und danach verarbeitet werden. Nach der Verarbeitung kann sie die Annahme des Schicksals Adoption fördern.
Christa Steinhauer
Der Widerspruch- studieren oder nicht
Die Mutter berichtet, dass die Tochter sich mit ihrem Fach an verschiedenen Unis und FHs beworben hat. Die Heimatstadt ist auch dabei für den Fall, dass es für die Tochter noch zu früh ist, den Sprung in eine fremde Stadt zu tun. Adoptierte fühlen sich in einer fremden Umgebung manchmal so, als wären sie ganz allein gelassen. Das erzeugt Ängste, Trennungsängste, die mit der frühen Trennung von der Mutter zusammen hängen.
Eine Uni bietet genau den Studiengang an, den die Tochter für sich ausgesucht hat. Die Mutter hat das Gefühl, dass die Tochter die Entscheidung zum Studium hinauszögert, ja sogar boykottiert. Sie versteht nicht warum, dabei ist dies sehr einfach.
Die Tochter hat seit ca. 2 Jahren Kontakt zu den Herkunftseltern, die in ihrer Art und Weise, das Leben zu leben, nicht unbedingt ihren Traum- und Wunschvorstellungen entsprechen. Die leibliche Mutter arbeitet als Angestellte, der Vater ist ohne Beruf. Seine Ausdrucksweise ist drastisch, aber herzlich. Er benutzt eine Sprache, die die Tochter nicht kennengelernt hat. Die Mutter verhält sich bei Treffen eher kühl und wenig gefühlvoll. Beide Eltern sind keine Bildungsbürger. Die Tochter fühlt sich aber mit ihnen verbunden, fühlt sich ihnen gegenüber loyal. Die These ist deshalb: wenn sie studiert, wird der Abstand zu beiden leiblichen Eltern möglicherweise wieder größer, dabei hat sie sie erst gefunden. Deshalb boykottiert sie sich selbst mit dem Studienwunsch. Sie möchte die Ver-Bindung nicht wieder verlieren.
Andererseits fühlt sie sich den AE verbunden und will studieren, weil dies durchaus deren Welt ist, die sie inzwischen teilt. Welches ist nun der tatsächliche Wunsch der Tochter, die noch zerrissen ist zwischen 2 verschiedenen Loyalitäten, Wünschen und Erwartungen? Dies gilt es für die Tochter herauszufinden und dafür Lösungsschritte zu entwickeln.
Christa Steinhauer